Indien
Land der grossen Gegensätze
Pulsierende Grossstädte, hochqualifizierte Fachkräfte, stolze Atommacht auf der einen Seite der Medaille – Slums, Armut, Ausbeutung, Rechtlosigkeit auf der anderen. Grössere Gegensätze als in Indien sind kaum denkbar.
Armut ist das Schicksal der Mehrheit: Ein Viertel der Bevölkerung von über 1,3 Milliarden kann sich nicht einmal genug zu essen leisten. Millionen von Kindern arbeiten, anstatt zur Schule zu gehen. Ein Heer von Obdachlosen lebt auf der Strasse.
Millionen von Frauen und Hunderttausende Kinder müssen sich prostituieren. Frauen, Angehörige niedriger Kasten, Anhänger nicht-hinduistischer Glaubensrichtungen sind der Willkür der Mächtigen ausgesetzt.
Unsere Hilfe in Indien
Menschenhandel
- Tageszentrum und Nachtkrippen für Kinder, die in einem Rotlichtviertel in Mumbai leben.
- Integrationshilfe für Jugendliche aus dem Rotlichtviertel in Mumbai und im Staat Bihar.
- Hilfe zum Ausstieg aus der Prostitution für gehandelte Frauen, Weiterbildungskurse.
- Tageszentren in Dörfern, wo Kinder ausgebeutet werden.
- Aufbau von Selbsthilfegruppen und Familienbetrieben, Förderung der Dorfentwicklung.
Ausführliche Informationen zu Indien
Über 1,3 Milliarden Menschen leben in Indien, das sind rund 18 % der Weltbevölkerung. Die Volkswirtschaft ist die siebtgrösste weltweit, das Land bringt international gesuchte Fachleute hervor. Gleichzeitig lebt ein grosser Teil der Bevölkerung in Armut. Das reichste Prozent der indischen Bevölkerung besitzt gegen 60 % des Vermögens, die unteren 70 % hingegen nur 7 %. Vom 2017 erwirtschafteten Wohlstand gingen 73 % an das eine Prozent der Superreichen. Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich in den letzten Jahren weiter geöffnet. Ungleich verteilt sind auch Rechte und Chancen: Einige geniessen alle Privilegien, andere werden systematisch diskriminiert.
Etwa 73 Millionen Menschen werden der Kategorie der extrem Armen zugeordnet. Als Kriterium dient die Definition der Weltbank, wonach als extrem arm gilt, wer mit weniger als 1,9 US-Dollar pro Tag auskommen muss. Neuere Definitionen der Armut berücksichtigen auch den Zugang zu Kleidung, Bildung, Gesundheit und weiteren notwendigen Gütern. So betrachtet ist die Armut noch weit grösser.
Sklaverei und Zwangsprostitution
Obschon gesetzlich längst verboten, gibt es in Indien nach wie vor Sklaven sowie Menschen, die in sklavenähnlichen Verhältnissen leben. Dazu zählen Leibeigene, Schuldknechte oder zu Zwangsarbeit Verdammte. Wie viele es sind, weiss man nicht. Schätzungen variieren von 8 bis 18 Millionen. Diese Menschen schuften in der Landwirtschaft, in Ziegeleien, privaten Haushalten und Bordellen. Entlöhnt werden sie miserabel oder gar nicht.
Millionen von Frauen und Mädchen müssen in Indien von Prostitution leben, drei von fünf Betroffenen sind noch im Schulalter. Menschenhändler erzielen riesige Gewinne, wenn sie ihre Opfer an Bordelle verkaufen. Den Kaufpreis müssen die Opfer dem Bordell «zurückzahlen», indem sie mit bis zu 20 Männern pro Nacht Sex haben. Ihre Lebensbedingungen sind grauenhaft. Das grösste Rotlichtviertel Indiens ist in Mumbai (früher Bombay), um die 100'000 Sexarbeiterinnen soll es dort geben. Viele von ihnen haben Kinder und diese wachsen auf engstem Raum mitten im Bordell auf, umgeben von Schmutz und Gewalt.
Menschen sind nichts wert
«Das menschliche Leben hat in Indien keinen Wert», sagt Filmemacherin Lourdes Picareta. Ihr Dokumentarfilm «Gewalt im Lande Gandhis» beleuchtet insbesondere die Gewalt an Frauen. In unzähligen indischen Familien löst die Geburt eines Mädchens keine Freude aus, denn man sieht nur die Kosten, die es verursacht. Eine riesige Bürde für arme Familien ist insbesondere die Hochzeit, zu der die Familie des Bräutigams Geld und teure Geschenke erwartet. Kann die Familie der Braut nicht bezahlen, drohen schreckliche Konsequenzen bis hin zum Tod der Tochter. Tote Kinder auf der Strasse einzusammeln, sei in Indien alltägliche Realität, erzählt Picareta. Auch als Erwachsene sind indische Frauen nicht sicher: Jährlich werden zwei Millionen Frauen Opfer von Gewaltakten.
Das Kastensystem
Offiziell ist das Kastensystem seit 70 Jahren abgeschafft – trotzdem ist es in Indien allgegenwärtig. Zuunterst in der Kastenhierarchie stehen die Dalit, die so genannten Unberührbaren. Viele Inder betrachten sie als unrein und ihr Leben als weniger wert. Dalit werden im Bildungswesen diskriminiert, dürfen nicht aus demselben Hahn Wasser holen wie andere, werden von Feiern ausgeschlossen und leben am Rand der Gesellschaft. Sexuelle Gewalt an Dalit wird kaum geahndet, vor allem wenn die Täter einer höheren Kaste angehören. In ihrer Not wenden sich viele Dalit dem Christentum oder anderen Religionen zu.
Hinduistischer Nationalismus
Seit einigen Jahren ist in Indien die nationalistische BJP an der Macht, eine Partei, die sich am Hinduismus orientiert und sich gegen die Abschaffung des Kastensystems wehrt. Damit ist eine lange Phase zu Ende gegangen, während der die indische Politik säkular ausgerichtet war. Hindus werden gezielt bevorzugt, gegen alle anderen wird gehetzt. Die oberste Staatsführung gibt den Ton an und wer sich bei den Mächtigen beliebt machen will, stimmt in den Chor mit ein. Religiöse Spannungen haben zugenommen, für Angehörige von Minderheiten ist der Alltag schwieriger geworden.
Auch Hilfsorganisationen spüren die harte Hand des nationalistischen Staates. Sie müssen über ihr Tun detailliert Rechenschaft ablegen, Geldflüsse werden genauestens kontrolliert. Der Aufwand, den sie für diese Überwachung leisten müssen, ist beträchtlich.
Quellen
Indien: Die Reichen und Gutausgebildeten verlassen das sinkende Schiff, www.heise.de, 14.09.2019
Verbesserungsbedarf trotz solidem Fortschritt, www.dandc.eu, 20.10.2018
Ja, Sklaverei existiert auch heute noch, www.globalcitizen.org, 22.05.2017
Geschlagen, vergewaltigt und mit 9 Jahren in einen Käfig gesperrt: Die modernen Sklaven Indiens, www.liberationlanguage.wordpress.com, 26.03.2014
Mumbai: das echte Leben im grössten Rotlichtviertel der Welt, german.china.org.cn, 17.05.2013
Das menschliche Leben hat in Indien keinen Wert mehr, info.arte.tv, 06.07.2015
Indien – Aus dem Schatten, www.zeit.de, 01.05.2016
Dalits: noch immer Menschen zweiter Klasse, religion.orf.at, 02.08.2016
Human Development Index 2018 (ohne Link)